Das
Mädchen Georgina Kirrin ist zweifellos der facettenreichste Charakter
von Enid Blyton. Sie ist einer der wenigen Charaktere, die sich im Laufe
der Zeit (Bücher) stark entwickeln, während sich die meisten
anderen Charaktere über die gesamte Buchreihe kaum ändern.
George - wie sie genannt werden möchte
- wächst als Einzelkind von Fanny Kirrin und Quentin Kirrin auf und
ist zu Beginn der Buchserie 11 Jahre alt. Sie haßt alles, was Mädchen
tun, sich um schöne Kleider zu kümmern, mit Puppen zu spielen,
Zimmer aufräumen oder hausfrauliche Tätigkeiten
[A]. Viel
lieber klettert sie in der Ruine auf ihrer Insel herum, rudert mit ihrem
Ruderboot zur Insel und fischt, oder geht mit ihrem Timmy spazieren
[A].
Daraus entwickelt sie sich zu einem starken und jungenhaften Mädchen,
so daß sie das Mädchensein schließlich ganz abzustreifen
versucht; sie schnitt sich selbst heimlich ihre dunklen lockigen Haare
kurz (früher hatte sie schulterlange Haare
[A]) und wirkt auch
sonst eher wie ein Junge. {siehe hierzu "F64.2 Störung
der Geschlechtsidentität im Kindesalter", Klinisch-diagnostische
Leitlinien}.
Einen großen Teil der Eigenschaften behält sie auch in den folgenden Büchern
der Serie bei - sie bleibt ein selbsbestimmtes, hitziges und jungenhaftes Mädchen.
Sie ist, insbesondere am Anfang, viel lieber allein,
ohne ihre Heiligtümer wie die Insel oder Timmy mit anderen teilen zu müssen.
Georgina pflegt keine Freunschaften mit anderen Kindern im Dorf, außer mit dem
Fischerjungen Alf. Er paßt für sie auf Timmy auf, als sie ihn auf Quentins Entscheidung
nicht mehr im Haus halten durfte, und wartet zusammen mit seinem Vater ihr Boot.
In den Folgen prägt sich ihr Gemeinschaftsgefühl sehr stark aus. In
Fünf Freunde und ein Zigeunermädchen
[K]
kann sie es kaum erwarten,
wieder mit ihren Cousins zusammen zu kommen und mit ihnen in Wohnwägen zu wohnen.
Sie ist willensstark, entschlossen und draufgängerisch, zuweilen beleidigt,
und mürrisch, oft ziemlich launisch und nimmt selten ein Blatt vor den Mund.
Sie ist aber immer loyal, zu allem bereit und nie um einen guten Einfall
verlegen [A]..[U]. Während der Abenteuer sagt sie neben Julian wo's lang geht.
Zu ihrer Familie und zu ihren Freunden
verbindet sie stets innige Bande: (zu ihrem Vater, als er von der Schmugglerspitze
verschleppt wurde
[D]
oder auf der Insel in Gefahr war
[F],
zu ihrer Mutter, als sie erkrankt war
[C],
oder als Berta drohte,
gekidnappt zu werden
[N]).
Als sie ihre Cousins begrüßen
sollte, zieht sie es vor, sich aus dem Staub zu machen und mit Timmy spazieren
zu gehen, und am nächsten Morgen gibt sie Anne klar zu verstehen,
daß sie lieber alleine bleiben möchte; ohne sich um ein "dummes
Mädchen, das Kleider mag und mit Puppen spielt und zwei dämliche
Cousins" [A]
kümmern zu müssen. Auch weist sie Anne von
Anfang an darauf hin, daß sie nur geneigt ist, auf "George" zu hören.
Im Laufe des Abenteuers auf der Felseninsel
[A]
schweißen die fünf so weit zusammen, daß George
bereit ist, alles mit ihren Cousins zu teilen, inklusive Insel und Timmy.
Diese Idee Julians, das "Teilen" von Hund und Insel gegen Süßigkeiten und
andere durch Geld erwerbbare Sachen, macht sie immer geselliger.
Es beginnt mit dem Schwur, daß keiner der vier das Geheimnis um
Timmy zu verraten, der zu Beginn des Abenteuers von Georges Eltern
verstoßen worden war, aber den George bei Alf versteckt
hielt.
In den meisten Abenteuern übernimmt
sie die zweite, manchmal auch die erste Führung unter den Fünfen.
Ab und an wird sie aber auch von Julian "zurückgepfiffen"
[E]
oder von Abenteuern ausgeschlossen
[G].
Gerade in den letzteren Abenteuern (wohl am deutlichsten in
[P] zeigt
sie stark weibliche Züge, sie hilft ohne zu Murren ständig bei
den Haushaltsarbeiten, und ist sehr einsichtig, nicht mit den Jungen zur
Schmetterlingsfarm zu gehen, hätte es doch wohl wie im Zeltlager
[G] auch
mit einem Fast-Bruch der Freundschaft enden können. Sie fühlt sich
auch sehr stark zum kleinen Benny hingezogen. Ein Zeichen, daß sie
wohl oder übel gewisse Mutterschaftsinstinkte entwickelt hat.
Sie hat wohl irgendwann von Ende Januar bis Ende März Geburtstag
[K, 2],
sie bekam zum letzten Geburtstag ein Fernglas geschenkt, und kann es erst in der
zweiten Woche im April im Urlaub benutzen. Auch hatte es die Mutter nicht
gestattet, daß George das Fernglas mit ins Internat nimmt. Da die Osterferien
schon zwei Wochen anhalten, muß der Geburtstag zwischen Ende der Weihnachtsferien
und wohl irgendwann im März sein...
Theorie
George spielt entweder gerne allein war, oder wegen der Ruhebedürftigkeit
ihres Vaters, die meiste Zeit draußen und bekommt
dort, wegen der dörflichen Umgebung, wenig Anschluß zu Gleichaltrigen.
Dann entwickelt sie ein Interesse für die einsame Insel, die ihrer Mutter gehört,
lernt das Rudern und entwickelt darin eine gewisse Geschicklichkeit und Kraft.
Sie genießt es, daß die Leute von ihr wissen, daß sie es schafft, auf die Insel zu gelangen,
die von gefährlichen Klippen umgeben sind. Um so stolzer wird sie, daß
sie, wenn die Kinder sie bitten, sie doch mit auf die Insel zu nehmen,
vor lauter Stolz und Hochmut auch nein sagen konnte. Damit entwickelt sie
eine gewisse Achtung, die wohl dann von den Fischern unterstützt wird, die
über sie reden, daß sie genau so rudert, wie einer von ihnen.
Und damit
wird ein junges Mädchens, immer stärker mit der Jungenwelt verglichen.
Und in dieser Welt fühlt es sich wohl und
kann sich sogar recht gut darin behaupten.
George kann (wegen des ganzen Rudertrainings),
wenn es zu Raufereien und Ähnlichem mit Gleichaltrigen
kommt (wie in [I],
als Jo in ihrer Grube sitzt), sich auch gegenüber den
Jungen durchsetzen, was dort auch für Achtung sorgt.
Vor lauter Vergleich mit der Jungenwelt und der gleichzeitigen Ablehnung, sich
von Mutter und Gesellschaft "in die Küche" zwängen zu lassen, streift sie ihr
Mädchendasein auch äußerlich so weit ab, daß sie sich selbst (!) die Haare
abschneidet und sich in Shorts präsentiert. In wie weit sich das in und
nach der Pubertät ändert, kann man aus den Büchern nur in Nuancen erfahren.
Es hängt wohl auch dann von der Gesellschaft ab, in der ja auch die
Feministinnen-Bewegung Einzug hält, die sich auch mit Hosen und Krawatten kleideten, um
eine "Gleichheit" der Männerwelt gegenüber zu unterstreichen. In so weit stellt
sich die Frage, ob Blyton mit George dieser Bewegung nicht ihre Unterstützung zum Ausdruck
bringen wollte. In der sonst so angepaßten Welt zwischen den Weltkriegen und
nach dem zweiten Weltkrieg ist Georges Auftreten mehr als ein Aufbegehren
einer neuen Mädchengeneration zu verstehen, die sich auch für Technik, Sport
und Abenteuer begeistert und lieber den eigenen Willen durchsetzt - was ja
vor allem in der Zeit sonst immer nur Jungen und Männern zugeschrieben wurde
und ja auch heute noch wird.
Ach ja, da ist ja auch wieder das klassische Stilmittel der Insel, DAS Symbol seit
jeher für Flucht, Erfüllung, Sehnsucht und Einsamkeit. In wie weit das Blyton
berücksichtigt hat, weiß ich nicht, und es kann ähnlich weit an den Haaren herbeigezogen
sein, wie viele meiner Textinterpretationen im Deutsch-Unterricht. Es stellt sich
immer wieder die Frage, ob der Autor so vielschichtig geschrieben hat, wie wir als
arme, gequälte Schüler immer wider herausinterpretieren sollen; oder ob er einfach
"nur" "Trivialliteratur" zur Unterhaltung schreiben wollte. Dabei frage ich mich
immer wieder, ob denn nicht Autoren, wenn sie Interpretationen anderer Werke kennen,
nicht einfach Stilelemente übernehmen, um den Schein zu wahren, um eine gewisse
"Vielschichtigkeit" zu schaffen...
Naja, ich jedenfalls stehe dem immer etwas kritisch entgegen. Ich habe schon im
Deutschunterricht NIE die Meinung des Lehrers getroffen, warum sollte ich es hier?!
Aber immerhin lesen das hier wohl Leute, die nicht nur nach Parteibuch ihre
Noten verteilen, sondern auch kritisch hinterfragen, was man aus den Charakteren
herauslesen kann. Oder?!
Darüber ließe sich bestimmt eine ganze Doktorarbeit schreiben...
Schreibt mir doch einfach Eure Meinung an georgina.kirrin@fuenffreundefanpage.at!!!