Allgemeines
Diese Störung zeigt sich meist während der frühen Kindheit (und immer lange vor der Pubertät). Sie ist durch ein anhaltendes und starkes Unbehagen über das angeborene Geschlecht charakterisiert, zusammen mit dem starken Wunsch (oder der Beteuerung), zum anderen Geschlecht zu gehören. Es besteht eine beständige Beschäftigung mit der Kleidung oder den Aktivitäten des anderen Geschlechtes oder eine Ablehnung des eigenen Geschlechtes. Man nimmt an, daß diese Störungen relativ selten sind, und sie sind nicht mit der viel häufigeren fehlenden Anpassung an das stereotype sexuelle Rollenverhalten zu verwechseln. Um die Diagnose zu stellen, muß eine tiefgreifende Störung des normalen Gefühls für Männlichkeit oder Weiblichkeit vorliegen, bloße Knabenhaftigkeit bei Mädchen und ein mädchenhaftes Verhalten bei Jungen ist nicht ausreichend. Nach Erreichen der Pubertät kann diese Diagnose nicht mehr gestellt werden.
Diagnostische Leitlinien
Das wesentliche diagnostische Merkmal ist der dringliche und anhaltende
Wunsch (oder die feste Überzeugung), zum anderen als dem angeborenen
Geschlecht zu gehören, zusammen mit einer starken Ablehnung des Verhaltens,
der Merkmale oder der Kleidung des angeborenen Geschlechtes. Typischerweise
zeigt sich dieses Verhalten erstmals im Vorschulalter. Um die Diagnose
stellen zu können, muß es vor Eintritt der Pubertät aufgetreten
sein. Bei beiden Geschlechtern kann ein Nichtanerkennenwollen der eigenen
Geschlechtsanatomie vorliegen; dies ist jedoch eine wahrscheinlich seltene
Manifestationsform. Charakteristischerweise behaupten Kinder mit einer
Störung der Geschlechtsidentität, dadurch nicht beunruhigt zu
sein, trotzdem können sie durch Konflikte mit den Erwartungen ihrer
Familie und ihrer Altersgenossen oder durch Neckereien bzw. Ablehnung unter
Druck geraten.
Man weiß mehr über diese Störungen bei Jungen als bei
Mädchen. [...]
In Beratungsstellen, Polikliniken oder Arztpraxen kommen Störungen
der Geschlechtsidentität bei Mädchen seltener als bei Jungen
vor, aber es ist unbekannt, ob sich diese Geschlechtsverteilung auch in
der Durchschnittsbevölkerung findet. Wie bei Jungen gibt es bei Mädchen
eine frühe Erscheinungsform, bei der sie ein eigentlich gegengeschlechtliches
Verhalten zeigen. Mädchen mit diesen Störungen haben typischerweise
männliche Spielkameraden und zeigen ein lebhaftes Interesse an Sport,
rauhem Spiel und Raufereien; sie haben kein Interesse an Puppen und daran,
in Phantasiespielen wie "Vater und Mutter" oder "Küche und Kinderstube",
weibliche Rollen zu übernehmen. Mädchen mit Störung der
Geschlechtsidentität erleben meist nicht denselben Grad von sozialer
Ächtung wie Jungen, obwohl auch sie unter Neckereien in der späten
Kindheit oder der Adoleszenz leiden können. Die meisten geben das
übertriebene Verlangen nach männlichen Aktivitäten oder
Kleidung auf, wenn sie sich der Adoleszenz nähern, einige behalten
eine männliche Identifikation und können später eine homosexuelle
Orientierung zeigen.
Selten ist die Störung der Geschlechtsidentität verbunden
mit einer anhaltenden Nichtanerkennung des angeborenen Geschlechts. Bei
Mädchen kann sich dies in der wiederholten Behauptung äußern,
daß sie einen Penis haben, oder daß einer wachsen wird. Sie
lehnen es ab, sitzend zu urinieren, Brüste zu bekommen und zu menstruieren.
Bei Jungen kann sich dies in der wiederholten Behauptung äußern,
daß sie sich körperlich zu Frauen entwickeln werden, daß
Penis und Hoden abstoßend seien und verschwinden werden, und daß
es besser wäre, keinen Penis und keine Hoden zu haben.
Ausschluß
- ichdystone sexuelle Orientierung (F66.1)
- Die Geschlechtsidentität oder sexuelle Ausrichtung
ist eindeutig, aber die betroffene Person hat den Wunsch, diese
wäre wegen der damit verbundenen psychischen oder
Verhaltensstörungen anders und unterzieht sich möglicherweise
einer Behandlung, um diese zu ändern.
- sexuelle Reifungsstörung ( F66.0)
- Die betroffene Person leidet unter einer Unsicherheit hinsichtlich ihrer Geschlechtsidentität oder der sexuellen Orientierung, was zu Ängsten oder Depressionen führt. Dies kommt meist bei Heranwachsenden vor, die sich hinsichtlich ihrer homo , hetero- oder bisexuellen Orientierung nicht sicher sind, aber auch bei Menschen, die nach einer Zeit scheinbar stabiler sexueller Orientierung - oftmals einer lange dauernden Beziehung - die Erfahrung machen, daß sich ihre sexuelle Orientierung ändert.
Forschungskriterien bei Mädchen
- A.
- Andauerndes intensives Leiden daran,
ein Mädchen zu sein und erklärter
Wunsch, ein Junge zu sein (nicht begründet
mit kulturellen Vorteilen für Jungen). Oder
das Mädchen besteht darauf, bereits ein
Junge zu sein.
- B.
- Entweder 1. oder 2.:
- Anhaltende deutliche Aversion gegen üblicherweise weibliche Kleidung und Bestehen auf typisch männlicher Kleidung, z.B. männlicher Unterwäsche und anderer Accessoires;
- anhaltende Ablehnung weiblicher anatomischer Gegebenheiten, die sich in
mindestens einem der folgenden Merkmale äußert:
- Behauptung, einen Penis zu besitzen, oder daß ein Penis wachsen wird;
- Ablehnung, im Sitzen zu urinieren;
- Versicherung, keine Brüste bekommen oder menstruieren zu wollen.
- C.
- Das Mädchen hat bis jetzt nicht die Pubertät erreicht.
- D.
- Die Störung muß mindestens sechs Monate vorliegen.