Gedanken zum Text
Ich habe mir den Tipp auf der Fanpage zu Herzen genommen und über
Weihnachten/Neujahr wieder mal das Buch "Five Go Adventuring Again"
gelesen, weil dies ja ein Buch ist, welches gut in diese Zeit passt.
Dabei habe ich festgestellt, daß dieses Buch noch viel mehr zu einer
Problematik paßt, mit der ich mich zur Zeit beschäftige. Ich schreibe
jetz einfach mal ein paar Gedanken nieder, die mir durch den Kopf gingen.
Vielleicht interessiert Euch das ja:
Erinnern wir uns: Die Fünf Freunde fanden auf der Kirrin Farm diesen uralten
Plan, der mit für sie unverständlichen Texten beschriftet war. Sie ließen ihn
von einem Schriftgelehrten (Mr. Roland) übersetzen und machten sich auf der
Kirrin Farm auf die Suche. Leider verlief sie zur großen Enttäuschung aller
erfolglos. Es steht nicht im Buch, wie sie sich diesem Mißerfolg zu erklären
versuchten, aber ich spekuliere jetzt einfach mal: Vielleicht dachten sie, der
Plan sei fehlerhaft, oder von Mr. Roland teils falsch übersetzt worden, oder
vielleicht zogen sie auch in Erwägung, daß der richtige Raum nicht mehr so
aussieht, wie zu der Zeit als der Plan entstand. Des Rätsels Lösung war jedoch
die, daß sie ganz einfach am falschen Ort suchten. Da der Plan auf der Farm
gefunden wurde, und Mrs. Sanders von dem Geheimgang wußte (wenn auch nur sehr
wenig), stand außer Frage, daß der Eingang in diesem Gebäude sein muß. Dabei
war er in Wirklichkeit ganz woanders, nämlich bei ihnen zu Hause, auf der
Cottage!
Gibt es ähnliche Fälle in der Realität? Ja, die gibt es! So versuchen
Altertumsforscher seit vielen hundert Jahren, herauszufinden, wo sich die
Ereignisse abgespielt haben, von denen uns das Alte Testament der Bibel
berichtet. Trotz allen Bemühungen sind aber immer noch viele Frage offen.
Zahlreiche Orte konnten in Palästina nie eindeutig oder überhaupt nicht
lokalisiert werden (wie das berühmte Qadesh Barnea, von wo Moses die
Kundschafter ausschickte), obwohl die Bibel oft sehr genaue Angaben über Orte,
Gebiete und Distanzen macht. Als Rechtfertigung wird angegeben, daß dies alles
schon sehr lange her sei, und viele Orte nicht mehr existieren, oder unter ganz
anderem Namen. Dazu komme, daß bei der Überlieferung und Übersetzung (bzw.
Vokalisierung des Hebräischen) natürlich Fehler passieren können, was z.T.
sicher auch zutrifft. Doch eine ketzerische Frage bleibt: Warum wird eigentlich
in Palästina gesucht? Eine dumme Frage, möchte man meinen, weiß doch
jedermann, daß sich die biblischen Geschichten dort abgespielt hatten. Doch
wissen wir das wirklich so genau?
Ein libanesischer Historiker namens Kamal Salibi hat sich vor über zwei
Jahrzehnten dieser Frage angenommen und in jahrelanger Forschungsarbeit
herausgefunden, daß die Ortsbeschreibungen der Bibel viel besser passen, wenn
man annimmt, daß das Gebiet Asir im Südwesten Saudi-Arabiens damit beschrieben
wird. Tatsächlich konnte er 80 % aller Namen dort einordnen, wobei auch Lage
und Distanzen stimmen. Seine Erkenntnisse hat er 1985 in dem Buch "Die Bibel
kam aus dem Lande Asir" publiziert. (siehe auch hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kamal_Salibi)
Warum, so fragt man sich, ist dann diese Theorie heutzutage so gut wie
unbekannt? Am Inhalt kann es nicht liegen, denn sachlich-wissenschaftliche
Einwände gibt es meines Wissens keine. Es ist vielmehr so, daß diese Theorie
nicht stimmen darf! Denn wenn das der Fall wäre, müßte die ganze Geschichte
umgeschrieben werden, die Kirche hätte wieder mal ein Glaubwürdigkeitsproblem
und die Rechtfertigung des israelischen Staates im "heiligen Land" stünde mehr
denn je zur Debatte. Also schweigt man die Theorie lieber tot, sodaß die
Kirche im Dorf bleibt.
Und hier sind wir wieder bei den Fünf Freunden angelangt: Als Julian
verbotenerweise einen Besuch bei George in ihrem Zimmer macht, kann sie
ihm klar begründen, warum nur Mr. Roland als Dieb in Frage kommen kann.
Alle Fakten passen ins Bild. Julian hat diesen Argumenten nichts
entgegenzubringen, doch bezeichnet er es als weit hergeholte und unglaubliche
Verschwörungstheorie, und wirft George vor, dumm zu sein (don't be silly).
Aber er tut dies nicht vom sachlichen Aspekt aus, sondern weil nicht sein kann,
was nicht sein darf: Ihr lieber Hauslehrer kann einfach kein Dieb sein, Punkt.
Den Ausgang der Geschichte kennen wir...
Adrian macht in seinen "Gedanken zum Text" auf etwas sehr Wichtiges aufmerksam. Oft bewerten wir die Dinge wie durch eine Brille. Erfahrungen und Einstellungen lassen uns oft nicht vorurteilsfrei das erkennen, was wir eigentlich vor Augen haben.
Leider ist das Beispiel, dass Adrian anführt, keine gelungenes Beispiel. Es hat durchaus Gründe warum Kamal Salibis Thesen so wenig bekannt sind. Und das sind durchaus sachlich-wissenschaftliche Gründe. Man muss schlicht die Archäologie des Nahen Ostens komplett ausblenden, um an dessen Thesen gefallen zu finden. Nun findet sich zum Beispiel die "Bileam-Geschichte" auf einem historischen in Stein gehauenen Text, die man im Archäologischen Museum in Amman (Jordanien) bewundern kann. Auf einer Stele aus dem Assysrischen Weltreich wird berichtet, das König Jehu von Israel tributpflichtig war. Oder in der Stadt Ninive fand sich eine Bibliothek mit 20.000 Tontafeln, von denen zahlreiche Tafeln Geschichten erzählen, die sich auch in der Bibel wiederfinden. Das wäre wohl alles nicht dort zu finden gewesen, wäre die biblische Geschichte nach Asir zu verorten.
Trotzdem bleibt natürlich die Feststellung, dass wir manchmal tatsächlich so reagieren, dass "nicht sein kann, was nicht sein darf." Vielleicht wäre Ignaz Semmelweis ein besseres Beispiel. Er hat klar nachweisen können, dass es auf mangelnde Hygiene zurückzuführen ist, dass so viele Frauen im Kindbett starben. Trotzdem wurde es von kaum einem seiner Zeitgenossen akzeptiert. Man hatte damals ganz andere Theorien über Krankheitsursachen. Übertragungen von Krankheiten über Bakterien waren Mitte des 19. Jahrhunderts noch unbekannt.
Obwohl Semmelsweis an seinem Krankenhaus die Kindbett-Sterblichkeit um 90 % reduzieren könnte, wurdbekam er immer noch starken Widerstand. Als er Wien deswegen verließ und in Budapest arbeitete, und er dort den gleichen Erfolg hatte, veranlasste man sogar, das Waschbecken in diesem Krankenhäusern wieder herausgerissen wurden und er seine Stellung dort verlor. Letztendlich starb er unter ungeklärten Umständen in einer Irrenanstalt, ohne dass man heute ganz genau weiß, ob der wirklich psychisch krank war oder Opfer einer weiteren Intrige war.
Neben der Schwierigkeit, völlig neue Gedanken zu akzeptieren, und der Tatsache, dass man im 19. Jahrhundert nicht sehr offen war für "liberale" Gedanken, darf man auch nicht die Eitelkeit von Ärzten und Wissenschaftlern unterschätzen. Es kann ja nicht sein, dass die Ärzte für die Krankheiten schuld sind, die sie eigentlich bekämpfen wollen. Und es kann natürlich auch nicht sein, dass ein junger Mensch entdecken könnte, dass Jahrzehnte an der Spitze stehenden Wissenschaftlern sich täuschen könnten.
Daher gibt es auch den Begriff des "Semmelweis-Reflex", der beschreibt, dass Innovationen in der Wissenschaft oft ohne Überprüfung abgelehnt werden, da es etablierten Paradigmen widerspricht. Manchmal könne das eher zu einer "Bestrafung" als zu einer "Honorierung" kommen.
Dieses Phänomen gibt es sicher nicht nur in der Wissenschaft. Jeder von uns sollte sich überlegen, ob er wirklich immer wertneutral bewertet und tatsächlich für Neues und Anderes offen ist; und vor allem für eine neue Sicht auf bekannt Dinge. Und das ist ja letztlich, was Adrian uns nahe bringen wollte.