Die 50er und 60er Jahre im Nachkriegsengland
Die Fünf Freunde haben niemals in den Siebzigern oder den frühen Achtzigern gelebt. Trotzdem werden die meisten von uns sich wohl diese Zeit als Kulisse für die Abenteuer vorstellen, denn das Fernsehen hat nun mal unsere Vorstellungen sehr stark beeinflußt. Dabei ist der Unterschied zwischen der (Nach-) Kriegszeit und dem Zeitraum der Fernsehserie in England sehr kraß und lohnt einer genaueren Betrachtung. Vielleicht würde sie sogar die Serie im Nachhinein in anderem Licht erscheinen lassen.
Das Nachkriegsengland muß man sich als eine Nation am Abgrund vorstellen. Die Jahre der politischen Krise gingen nahtlos in den wirtschaftlichen Kollaps über. Nach dem eigentlichen Gewinner des Krieges gefragt, hätten die meisten Engländer Anfang der Fünfziger wohl zerknirscht 'Deutschland' zu Protokoll gegeben. Großbritannien hatte sich so hoffnungslos verschuldet, daß an einen kontrollierten Wiederaufbau nicht zu denken war. Eine Tradition der staatlichen Fürsorge gibt es in den angelsächsischen Ländern nicht, deshalb kam ein Projekt wie der Marshallplan in Deutschland nicht in Frage. Winston Churchill wurde kurz nach dem Waffenstillstand der Stuhl vor die Tür von No 10 Downing Street gestellt, allein die nachfolgende Regierung unter Attlee wußte auch nicht viel mit diesem Land zu tun. Die Bevölkerung machte damals viel durch, und die Tatsache, daß Quentin in Band eins ein verarmter Mann ist, macht ihn eher zum Normalfall als zur Ausnahme. Arm zu sein war nichts Besonderes, und nur Wenige konnten sich mit Hilfe eines Schatzes aus dieser Situation befreien. Allerdings hätte Quentin zu Kriegszeiten sicherlich ein beachtliches Gehalt verdienen können, denn er arbeitete später an Projekten, die man kriegswichtig nennen könnte. Allerdings hat er wohl niemals an das große Geld geglaubt und so das Wohlergehen seiner Familie und seinerselbst der reinen Lehre geopfert.
In den Statistiken habe ich ein paar Zahlen gefunden, die den Unterschied zwischen den beiden Zeiträumen veranschaulichen können. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen lag im Jahre 1951 bei £231, dreißig Jahre später waren es £3278, das ist kein Tippfehler. Ganz so kraß, wie es auf den ersten Blick aussieht, war es aber nicht ganz, denn wenn man die Inflation abzieht kommt man etwa auf eine Verdopplung des realen Jahresverdienstes in diesem Zeitraum. Das ist immer noch ziemlich beeindruckend. Die finanziellen Nöte waren jedoch nicht das einzige Problem dieser Zeit, denn das Empire war nach langem Ringen mit dem Tod endlich in seine Bestandteile zerfallen. Das Selbstverständnis des Briten ein Teil der unangefochtenen Weltmacht Nummer eins zu sein, wurde in diesen Jahren schwer erschüttert und nur die Verleugnung dieser Tatsache erklärt die heute noch oft anzutreffende Arroganz in politischen Fragen. Dieser neuen Situation nicht gewachsen, verdrängte man gerne Probleme oder ging vermeintlich einfache Lösungswege. Wer heute in England reist, wird fast auf Schritt und Tritt von den Folgen dieser Fehler begleitet, denn wer zum Beispiel am Bahnhof nach dem Fahrplan sieht, der verschwendet leider seine Zeit, denn niemand hält sich dran. Bis ins letzte Jahr fuhren bei uns noch Züge, mit denen die Fünf damals theoretisch schon hätten fahren können, das Gleisnetz ist noch älter. Und ob man denn nun zu Europa gehöre oder nicht, diese Frage vertagte man immer wieder gerne auf morgen. Bis heute ist sie noch nicht beantwortet.
Aber schließlich ging es doch noch aufwärts; überrascht stellten die Briten in den frühen Sechzigern fest, daß es ihnen niemals zuvor so gut gegangen war. Die Wirtschaft brummte plötzlich, wenn auch nur für kurze Zeit. Kurz zuvor hatte sich die Regierung nicht lumpen lassen und als Belohnung für die Qualen der vergangen Jahre den Nationalen Gesundheitsdienst (NHS) gegründet. Ironischerweise gehört der heute zu genau derselben Kategorie von Problemfällen, wie die Bahn. Doch zu der Zeit muß man sich Großbritannien als glückliches Land vorstellen. Der Aufschwung ließ die Scham über die verlorene Macht vergessen, man konnte umsonst den Arzt konsultieren, zum Fußball oder Windhundrennen gehen und wetten, fernsehen und manchmal sogar reisen. Nicht mehr nur nach Brighton, sondern nach Spanien. Es saß endlich etwas dran, man konnte sich etwas gönnen. Engländer zu sein hieß Brite zu sein, und Brite zu sein, das war mit Abstand das Beste von allem. Als der wirtschaftliche Boom schon wieder zu Ende war, kam 1966 Wembley. Es war amtlich: England war wieder die Königin der Völker. Die Welt staunte über die Briten in ihren Rennautos und konnte von der Musik der Beatles gar nicht genug bekommen. Das Land war in der Pubertät, halbstark, laut, zum ersten Mal richtig verliebt - in sich selbst.
Interessant finde ich auch, daß in der Zeit zwischen 1951 und 61 die Zahl der Teenager im Vereinigten Königreich um knapp ein Viertel zunahm. Die Fünf waren Teil der Babyboomer, die in England wohl damals die beste Zeit ihres Lebens hatten. Wegen des zunehmenden Wohlstands verfügten die Kinder zum ersten Mal über so viel Geld, daß sich die Wirtschaft für sich zu interessieren begann. Ein Absolutes Novum damals waren Kleiderkollektionen, die nur auf Heranwachsende abzielten. Die Plattenindustrie brummte, die Kids waren verrückt nach dem neuen Sound von coolen Jungs mit Gitarren. Das Victoria Cross, die höchste Auszeichnung in England, hat die Queen den Beatles bekanntermaßen nicht verliehen, weil sie die Musik so klasse fand, sondern, weil die Industrie so doll von ihnen profitierte. Dieses Bild paßt nicht mehr ganz zu den Fünf in ihren Pullundern und Sommerkleidchen, mit ihren Fahrradtouren und Ferien im Felsenhaus. Sie wurden mit Enid Blyton begraben, allerdings könnte man sich fragen, ob sie die folgenden Jahre wohl sonst überlebt hätten.
Um jetzt noch einmal den Bogen in die Zeit der Fernsehserie zu schlagen sei an dieser Stelle noch angemerkt, daß diese Periode oft viel weniger ruhig war, als die der eigentlichen Buchreihe. In diese Jahre fällt der Große Bergarbeiterstreik, der das Land an den Rand des Generalstreiks rückte und fast sogar einen Bürgerkrieg im Norden ausgelöst hätte. Die Gewerkschaften hatten schon autonome Republiken ausgerufen - in England! Und dann war da natürlich noch Brixton, der letzte bewaffnete Aufstand in Großbritannien; er wurde blutig niedergeschlagen. Es mag wie eine Milchmädchenrechnung aussehen, aber beide Krisen haben ihre Wurzeln in den Fünfzigern. Unausgereifte Konzepte hatten damals eine neue Tarifgesetzgebung ermöglicht, die in den folgenden Jahrzehnten die Industrie immer wieder ins stocken geraten ließ während die Löhne und Preise explodierten (s.o.). Und Brixton war ein Aufschrei der bewaffnete Minderheiten gegen eine Quasi-Gettoisierung, denn als das Empire unter viel Ächzen in Staub und Asche versank, da hatte man sich niemals ausgemalt, daß Leute vom anderen Ende der Welt einmal wirklich ihr Recht auf Einwanderung ausüben würden. Als sie dann plötzlich vor der Tür standen und man merkte, daß man sie nicht einfach fortschicken kann, 'räumte' man einige baufällige Häuserblocks für sie, die zufällig auch noch alle in der gleichen Gegend lagen.
Den Zuständen der Sechziger trauern viele Briten heute noch nach,
sie träumen von einem Land regiert von einer jungen Königin und
knallharten Kerlen in Nadelstreifen, Stars, wie Georgie Best und Paul McCartney.
Heute hat Best eine Spederleber und der Beatle ist mit 61 noch einmal Vater
geworden. Aus Rule Britannia wurde Cool Britannia, die spröde Schöne
in Europas Nordwesten, nicht ganz drin, nicht ganz draußen.
Weitere Anmerkungen
In der Zeit der Fünf Freunde gehörten Autos und Führerscheine nicht zum Alltag.
In [A] fährt
der Vater von Julian, Dick und Anne mit dem eigenen Auto die Kinder und seine
Frau nach Kirrin. Ansonsten wird immer, wenn ein Auto benötigt wird auf ein
Auto mit Fahrer ausgewichen
[S],
[Q].
Ansonsten benutzen die Kinder öffentliche Verkehrsmittel wie Bus und Bahn, oder
fahren mit dem Fahrrad oder Kutsche.
In der 78er Serie besitzt Onkel Quentin ein eigenes Auto und fährt damit die Kinder
selber, bzw. benutzt es, um die Kinder zu besuchen oder abzuholen.
Die Eltern von Julian, Dick und Anne, wie auch Fanny und Quentin gehören zur
Mittelschicht:
- Fahrrad
- Armbanduhr
- Internat
- Rivalität/Probleme mit der unteren Schicht, wie Jo, die zu den Zigeunern gehört.
Auf jeden Fall bilden die Bücher der Reihe eine Art Zeitkapsel, da die angesprochenen Themen, Personenkonstellationen und der technische Fortschritt nicht beliebig verschoben werden kann.